Einblicke in die Gefühlswelt einer Borderlinerin


Wieso, Deiner Meinung nach, kann ein Borderliner Sicherheit und Liebe nicht annehmen?

Ich will versuchen, es bildlich zu beschreiben: Wenn ein Kind auf die Welt kommt, braucht es nach 9 Monaten Symbiose im Bauch, noch 12 Monate lang die Nähe der Mutter, um Urvertrauen zu entwickeln. Da entstehen die Wurzeln und ein kleines "Ich", das sich weiter entwickeln kann. Es sind die Samen, die dann wachsen können, wenn alles stimmig ist. Ein Borderliner hat keine Samen, keine Wurzeln!
Bildlich: Als Kind bekommt man einen Hund und er beißt. Man will mit ihm spielen, aber er beißt weiter, immer wieder. Ergo hat man gelernt, dass ein Hund beißen muss. Die ganze Kindheit hat man nur Hunde um sich herum, die beißen, und das wird zur "Realität".Jetzt ist man erwachsen und ein Hund kommt zu einem. Er beißt nicht! Komisch, man tut dann unbewusst alles, man provoziert den Hund, bis er zugebissen hat, um sich zu bestätigen dass Hunde beißen. Wenn ein Hund nicht beißt, dann "stimmt was mit ihm nicht".

Ein anderes Beispiel: Als Baby wird einem eine Schallplatte vorgespielt. Diese Schallplatte hat aber an einer gewissen Stelle einen Kratzer und fängt an zu "springen". Man hört immer wieder diese Platte und man nimmt mit der Zeit diesen Kratzer nicht mehr wahr. Es wird "normal". Man hört sie immer wieder und man merkt nicht mal, dass sie springt.
Das kann ich mit meiner Kindheit und meiner BL Mutter vergleichen. Sie liebt mich, aber auf eine sehr "komische" Art und Weise, sehr ambivalent.
Tja, und dann geht man als "Erwachsener" eine Beziehung ein. Neue Schallplatte, aber kein Kratzer? "Da stimmt was nicht", die läuft ganz normal, nun, irgendwann mal muss es anfangen zu springen, oder? Dann entsteht eine Spannung, denn man erwartet dass die Schallplatte springen muss, und wenn es nicht passiert, muss man die Platte selbst zerkratzen (Zwang, der unbewusst aufgrund Konditionierung passiert) Man muss den Schmerz spüren, denn man kennt das nicht anders. Es passiert alles unbewusst, denn man kennt nur diese eine Schallplatte. Was anderes kennt man nicht!
Wenn man in der frühen Kindheit kein Urvertrauen eingepflanzt bekommt, kann man es nicht mehr reparieren. In Asphalt kann man keine Samen setzen. Deshalb ist ein Borderliner "verdammt" das ganze Leben zu kämpfen, um Bestätigung zu bekommen, dass es so ist, wie er es aus der Kindheit kennt. Damit kann er leider umgehen, und wenn es anders ist, wenn man ihm richtige Liebe schenkt und ihm beteuert, dass alles gut ist und dass man ihn richtig liebt, kann er das nicht annehmen, denn "alle Hunde beißen, und wenn sie es nicht tun, muss man sie dazu bringen, und wenn man sie dazu nicht bringen kann, dann stimmt mit denen was nicht".

Idealisierung / Abwertung

Ich versuche an einem ganz einfachen Beispiel zu erklären, wie diese Mechanismen funktionieren:
Ich lerne jemanden kennen und es knallt! Ich idealisiere diesen Mann und bekomme es auch zurück gespiegelt. Ich fühle mich wahrgenommen und glücklich. In den ersten Monaten ist die Welt in Ordnung, denn ich vermeide unbewusst jede Situation, die mir peinlich sein kann, um vor dem Partner ein ideales Bild aufrechterhalten zu können. Das ist auch der Grund wieso ich nicht lange Zeit am Stück mit ihm verbringen kann, denn diese Spannung dass irgendwas Unangenehmes passieren kann, steigt und ich bekomme Angst.
Beispiel:
Wir gehen irgendwo zusammen hin, wir spazieren Hand in Hand auf der Straße und jemand geht vorbei und macht mich oder ihn blöd an. Ich fange an, mich zu schämen (zeige es aber nicht und bleibe cool), werte mich sofort ab, werte ihn ab, weil er mit mir zusammen ist und meine Welt bricht in dem Moment zusammen, nur ich zeige es nicht. Ich fange an, mich ganz komisch zu verhalten, um diese Schamgefühle nicht zu spüren, und fange an, ihn zu provozieren und herum zu nörgeln ohne einen sichtbaren Grund. Innerlich fühle ich mich so was von "klein" und da ich mich so fühle, MUSS ich auch den Partner in diesem Moment abwerten, denn er ist mit mir zusammen, und ich bin nichts wert. Dann geht es los mit Provokationen und irrationalem Verhalten, das aus dem Gefühl der Wertlosigkeit entsteht.
Ergo, ich vermeide jede Situation, die mir peinlich ist, denn ich muss Perfekt sein, und wenn ich nicht Perfekt bin, bin ich "nichts" - wieder extrem!
Deshalb ist eine Beziehung nicht möglich, denn auch peinliche und unangenehme Situationen gehören dazu und ein Borderliner kann das nicht ertragen, denn er stellt mit einer Kritik seine ganze Person in Frage, hasst sich und damit den Partner genauso.

Innerer Druck

In einem solchen Zustand habe ich STÄNDIG Drang jemanden zu kontaktieren, denn auf der einen Seite fühle ich mich weit entfernt von allem, da ich dissoziiren MUSS, um diesen Druck ertragen zu können, und auf der anderen Seite brauche ich jemanden, der mir bestätigt, dass ich noch "da" bin und mich wahrnimmt. Sehr schwer zu erklären, aber es ist, als wenn man sich selbst beobachtet, wie eine Figur, und man hat die Fernbedienung verloren und man reagiert und provoziert, ohne es zu wollen, aber es geht nicht anders. Es hat mit der anderen Person absolut nichts zu tun, und meistens ist es die Person, die einem sehr nah steht. In einem solchen Zustand denkt ein Borderliner nur an SICH und sucht Wege, wie er da raus kommt. Er kann an niemanden anderen denken, das geht nicht! Deshalb darf man nichts persönlich nehmen! Ein paar Tage danach tut es einem leid, aber meistens kann man sich nicht entschuldigen (wenn man nicht einsichtig ist), denn man kann nicht genau erklären und sagen was und wieso es passiert ist und wenn dann jemand zu viele Fragen stellt, auf die man keine Antwort geben kann, greift man wieder an oder flüchtet.
Dieser Druck entsteht weil man Emotionen nicht regulieren kann, man kann nicht artikulieren, was in einem vorgeht und im besten Fall funktioniert man einfach!
Ich kann erst jetzt verstehen, wie angstgesteuert ich bin, und früher habe ich diese Ängste absolut nicht wahrgenommen. Ich wusste immer, dass ich ein bisschen anders bin, aber habe mich nie schuldig gefühlt, habe immer andere beschuldigt und ich war sehr überzeugend, auch mir gegenüber! Deshalb kann ich nur sagen, es passiert wirklich unbewusst! Und auch wenn es einem bewusst wird, gibt es Situationen und Emotionen, die man nicht steuern kann.

Kannst Du näher beschreiben wie sich das anfühlt?

Bildlich:
Es ist, wie wenn man im Flugzeug sitzt und es fangen schlimme Turbulenzen an. Man ist ausgeliefert, hilflos und man hat Todesangst. Man schwebt irgendwo in der Luft und spürt sich nicht mehr. Wie soll ich bitte an etwas anderes denken, wenn diese Angst mich überkommt und wenn ich in diesem Moment machtlos bin. Dann "landet" man wieder und man kann sich wieder spüren, man kann wieder Boden unter den Füßen spüren.
Beim nächsten Flug nimmt man sich vor, dies und jenes zu machen, falls es wieder turbulent wird (Musik hören, Schokolade essen, sich bewegen oder andere Skills) aber es wird so plötzlich und unerwartet wieder turbulent, dass man alles vergisst und diese Angst ist wieder da, und man ist wieder ausgeliefert. Man kann nicht daran denken, was zu tun ist. Die Angst ist zu groß und präsent, so dass man an nichts anderes denken kann. Bis man wieder "landet".
Da helfen keine Theorie und kein Wissen! Und wenn man bis 10 zählt, werden die Turbulenzen nicht besser, denn man kann sie nicht steuern, man ist ausgeliefert. Das kann keiner verstehen, der das nicht erlebt hat!

Was kann der Partner in so einer Situation machen?

Egal, was der Partner in solchen Momenten macht, es ist definitiv falsch, denn ein Borderliner kann in solchen Momenten gar nichts ertragen, nicht einmal sich selbst, und deshalb "spritzt" er Gift, egal ob man nett zu ihm ist oder nicht. Einfach lassen und auf nichts reagieren ist für den Borderliner auch nicht gut, aber für den Partner das Beste, was er machen kann. Denn in so einem Zustand ist man nur auf Widerspruch "eingestellt", denn diese Unruhe, dieser wahnsinnige Druck muss raus, egal wie.
Dieser Zustand ist unvorhersehbar. Wenn alles "glatt" läuft, dann fängt der Druck an, zu steigen. Es kommt unerwartet, es kann nur eine Gedanke, Geruch, ein Blick oder irgendein unbewusster Trigger sein und auf einmal ist man "weg". Ich glaube, dass dieser Druck auch mit Spaltung zu tun hat, denn wenn man alles, was unangenehm ist abspaltet, bleibt es drinnen und "sammelt sich". Nicht wie bei der Verdrängung, wo immer wieder was raus kommt. Also, dann steigt dieser Druck und es kocht wie in einem "Schnellkochtopf", aber man weiß nicht, was das ist, denn es ist einfach „Es“, das Gefühl man platzt, und da man es nicht aushalten kann, trennt man sich von sich, man dissoziiert. Deshalb kann ein Borderliner, der nicht einsichtig ist, sein irrationales Verhalten nicht erklären, so wie ich es früher nicht konnte.

Wie und wann entsteht dieser Druck?

Bei manchen gibt es Zyklen, aber es kommt immer drauf an, wie die Lebensumstände sind, wie viel Spannung und Energie man "verbraucht" um zu funktionieren (ein Borderliner hat einen klaren Verstand, super Kopf, aber Emotionen eines kleines Kindes, um in der Gesellschaft zu funktionieren, muss man erwachsen sein. Da Emotionen und Verstand sich nicht "einigen können", entsteht eine Spannung, denn man muss ein "Bild" aufrechterhalten. Das kostet sehr viel Kraft, die Gefühle und den Kopf irgendwie unter Kontrolle zu halten). Es kann einmal im Monat sein, es kann alle paar Monaten passieren. Es ist unterschiedlich. Ich muss aber sagen, wenn ich in einer Beziehung bin, passiert mir das sehr oft, denn Emotionen kann ich nicht steuern und ich habe ständig Angst, die Kontrolle zu verlieren. In einer Beziehung ist der Borderliner überfordert!
Wie gesagt, es ist unterschiedlich, und es hängt von vielen Faktoren ab. Man kann es leider nicht voraussehen, es kommt einfach und man kann es nicht steuern! Es ist, wie wenn man ungewollt in eine Achterbahn einsteigt und man hat keine Zeit sich anzuschnallen. Man wird durch die eigene emotionale Welt geschleudert und man weiß nicht, was da passiert. Deshalb muss man sich von sich trennen, und somit auch von allem, was einen umgibt, aber gleichzeitig bekommt man Angst, die Kontrolle zu verlieren und nie mehr aussteigen zu können. Deshalb schlägt man um sich, um einen "Ausgang" zu finden, aber man findet nichts.
Das man in sich selbst gefangen ist, das stimmt und diese Zustände sind schon unangenehm, und man weiß nicht, wie lange es dauern kann. Meistens nicht mehr als einen Tag, aber das ist schwer auszuhalten. Mir ist jetzt klar geworden, wieso sich viele in solchen Momenten selbst verletzen. Man spürt gar nichts mehr. Man ist wie ausgelöscht! Weg! Nicht mehr existent! Körper weg, Gefühle weg, im Kopf nur Zwangsgedanken, die man nicht abschalten kann, und alles verliert den Sinn, alles wird in Frage gestellt.

Kann man in so einer Situaton darüber reden?

Wie soll ich meinem Partner sagen, wie es um mich steht, wenn ich das selbst nicht artikulieren kann? Wie soll ich erklären, dass ich nicht mehr bei mir bin, meinen Körper nicht mehr spüre und quasi nicht existiere in dem Moment? Auch jetzt, seitdem ich weiß, wie es um mich steht, kann ich manches nicht erklären und will alleine sein, wenn dieser Druck da ist! Und er kommt von jetzt auf gleich! Was soll ich da jemandem erklären? Ich kann das selbst nicht kontrollieren und steuern, ich leide selbst in dem Moment, ich bin taub und fühle gar nichts, ich bin dann weg. Alles, was um mich herum passiert, scheint sehr entfernt zu sein.
In so einem Moment kann man NICHTS machen! Gar nichts! Glaubt mir, es geht nicht! Wenn mich dann jemand ständig fragt, was los ist und mir helfen will, dann habe ich in dem Moment keinen Nerv dafür und werde sehr unangenehm und arrogant!
Dieser Druck entsteht, weil man Emotionen nicht regulieren kann, man kann nicht artikulieren, was in einem vorgeht und man funktioniert einfach!
Es ist wie eine tickende Bombe innen drinnen, die Spannung erzeugt, weil man nicht weiß, wann sie platzt. Ferngesteuert, denn ich bin nicht mehr da, ausgelöscht. Ich fühle nicht und spüre weder mich, noch etwas anderes. Eiskalt, ohne es ändern und steuern zu können. Da man diesen Druck, diese Spannung nicht aushalten kann, SUCHT man Ventil und "Zündung" durch Provokationen, Wut oder ähnliches, nur dass irgendwas passiert, dass es platzt und man denkt nicht drüber nach, was man damit anrichtet, denn in solchen Momenten ist alles egal. Es ist wie irgendeine fremde Substanz, ein Trip, eine unsichtbare Hand, die dich einfach nimmt, und für kurze Zeit aus dem Leben entführt. Traurig, aber ich kann es leider nicht anders erklären.
Ich suche dann das Ventil mit Provokation, reize die Person, die mir am nächsten steht, denn ich fühle mich wie ein Geist, nicht existent, ausgelöscht! Alles erscheint sehr weit entfernt und, wie ich schon erwähnt habe, meine Stimme, Blick, alles, was aus meinem Mund raus kommt, BIN IN DEM MOMENT NICHT ICH, und ich kann es auch nicht steuern. Ich WEISS irgendwo im Hinterkopf, was ich anrichte, aber es ist stärker, und ich habe keine Chance ! Es MUSS platzen und ich suche Streit, denn wahrscheinlich will ich in dem Moment verletzen, um verletzt zu werden, denn nur durch den Schmerz kann ich mich wieder spüren.
Eins kann ich auch bestätigen: Der Partner und Angehörige DARF NICHTS persönlich nehmen, denn es hat nichts mit der Person zu tun, die einem nahe steht!!! Mann MUSS es abladen und man sucht auch Gründe, die total irrational sind. Es hat aber nichts mit der aktuellen Realität zu tun!!!

Was denkst Du, ist eine Beziehung mit einem Borderliner möglich?

Ich würde so sagen: Eine Beziehung im herkömmlichen Sinne ist kaum möglich, ABER, wenn man an sich arbeitet und einen starken Willen hat, dann kann es möglich sein. Eine für die Beziehungsfähigkeit nötige stabile Gefühlslage und Identität ist für den Borderliner in der Regel nur durch intensive Therapie erreichbar. Damit eine ausreichende Liebe und Partnerschaft möglich wird, brauchen solche Beziehungen ein hohes Maß an therapeutischer Unterstützung und Selbsthilfeaktivität.
 

Quelle: "Am Ende bleibt der Schmerz und die Frage Warum"  / Suzana Pavic und Ed Hellmeier

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